Die AfD-Wähler als Aktivposten der Parteistrategen

Heute war in eine Berlin AfD-Demo und zig Gegendemos. Jetzt ist gerade noch der Propagandakrieg im Gange wie viele Teilnehmer es auf welcher Seite gab, so irgendwas zwischen 5.000 und 10.000 bei der AfD und zwischen 20.000 und 30.000 bei den Gegendemos dürften es wohl gewesen sein. Es waren jedenfalls deutlich mehr bei den Gegendemos als bei der AfD-Demo. Jetzt kommen einige ganz findige Gegendemonstranten natürlich auf die Idee eine Forderung an die Politik zu richten, da sie mehr gewesen seien müsse die Politik tun was sie wollen.

Diese Forderung nehme ich hier einmal zum Anlass ein ganz prinzipielles strategisches Problem das durch die Anwesenheit der AfD im Parteienspektrum entsteht herauszuarbeiten.

Zuerst einmal ist die Verkettung von „wir sind mehr“ und „darum muss die Politik genau das tun was wir wollen“ das, was man bisher immer als „Diktatur der Mehrheit“ bezeichnet hat, also genau das was die liberale Demokratie ja nicht sein soll. Das ist aber nur einer der vielen Widersprüche in die sich die „echten Demokraten“ beim Kampf gegen die AfD verstricken, hier erst einmal nicht weiter beachtenswert, mir geht es nämlich zuerst um etwas anderes.

Es wird da ja von beiden Seiten sprachlich abgegrenzt was das Zeug hält, seitens der AfD grenzt man sich vom „Kartell der Altparteien“ ab und diese wiederum ziehen einen Graben zwischen „Demokraten“ und „Antidemokraten“. Wir haben es also in der Tat mit zwei unterschiedlich großen Blöcken zu tun die jeweils von sich selbst behaupten mit dem anderen Block aber auch Garnichts gemein zu haben, selbst ist man der Gute und die Gegenseite ist das pure Böse. Soweit alles kalter Kaffee, ganz normaler Politikpopanz halt.

Im Rahmen des Kampfes dieser beiden neuen Blöcke (früher verlief die „Mitte“ ja irgendwo zwischen SPD und Union, das sind die alten Großlager, diese Grenze gibt es zwar immer noch, aber da wurden die Kampfhandlungen weitgehend eingestellt, man bekämpft jetzt zusammen den neuen Feind an der Grenze „rechts der CSU“) versuchen jetzt die „Altparteien“ immer noch mit dem alten Schema der totalen Ausgrenzung. Mit diesem Schema wurde lange Jahrzehnte lang alles was man selbst als „zu rechts“ einstufte erfolgreich klein gehalten. Diese Taktik funktioniert aber nur so lange der Gegner zahlenmäßig klein ist, angesichts der Wahlergebnisse der AfD und der Stabilität der Umfragewerte ist das aber nicht der Fall, die AfD hat schon eine ganze Zeit lang den Charakter einer stabilen und großen Bewegung, es ist keine Mehrheit, aber Millionen „AfDler“ sind doch eine große politische Bewegung. Das sind keine kleinen „Inseln“ mehr die man mit der alten Taktik des Ausgrenzens von einander und von der Mehrheitsgesellschaft isolieren könnte.

Dennoch hält man an der alten aber hier wirkungslosen Taktik fest und dies hat mehrere Gründe. Zuerst einmal hat man es zu lange mit der Nazikeule versucht. Das führt jetzt zu einem immensen Rechtfertigungsdruck, das Bild der durchgängig rechtsextremen „Nazipartei“ das da so nachdrücklich aufgebaut wurde ist jetzt ein großer Klotz am Bein. Das führt dazu, dass man als „demokratischer“ Politiker überhaupt nichts anderes mehr tun kann als reflexhaft die Gegenposition zur AfD einzunehmen. Man wäre ja angesichts des gezeichneten Bildes sonst selbst ein „Rechter“. Das ist jetzt extrem schlecht für die „Altparteien“, wenn alle Altparteien die Gegenposition zur AfD einnehmen müssen, dann bleibt ihnen nur noch sich durch die Begründung wieso sie diese Position einnehmen von einander abzugrenzen, die Position ist aber dennoch fast deckungsgleich. Das wirkt dann natürlich oft vollkommen unglaubwürdig und albern oder auch einfach nur verlogen.

Ich will das kurz am Beispiel der Migration aufzeigen, die Union ist dafür, wegen Jesus, die FDP ist dafür, wegen der Wirtschaft, die SPD ist dafür, wegen der Gerechtigkeit, die Grünen sind dafür, wegen der Buntheit und die Linke ist dafür, wegen Hitler. Gleichzeitig bezahlt man Erdogan dafür den Wachhund zu spielen, baut den EU-Grenzschutz aus und überlegt ob man wieder einmal Konzentrationslager errichtet. Das Problem ist, die AfD ist „vollkommen gegen Migration“, also nehmen alle anderen reflexhaft die Gegenposition „vollkommen für Migration“ ein. Dass man das so realpolitisch nicht durchhalten kann ist einfach so, die Ressourcen sind auch in Deutschland begrenzt und das alleine setzt da einfach schon Grenzen. Aber bereits diese einfache Wahrheit geht nicht mehr, man ist dann bei der CSU doch lieber für Flüchtlinge, wegen Jesus und gleichzeitig für Konzentrationslager, einfach so, weil man es anders halt doch nicht mehr gebacken bekommt. Das ist das erste große Problem der „Altparteien“, sie nehmen semantisch die Gegenposition zur AfD ein und das ganz egal wie die Tatsachen, die Zwänge oder auch Notwendigkeiten aussehen, Hauptsache die Gegenposition ist sprachlich eingenommen.

Das zweite ganz große Problem sind alte Märchen. Politiker müssen ab und zu einfach Märchen erzählen, sei es weil sie etwas voranbringen wollen was ohne Märchen auf zu große Widerstände stößt oder sei es um bei kritischen Problemen Zeit zu gewinnen, ab und zu muss man als Politiker einfach lügen. Die Alternative wäre hier oft nichts zu bewegen (was ja doof ist wenn man genau deshalb in die Politik gegangen ist) oder wenn es um die Lösung kritischer Probleme geht, dann ist die Alternative kein Märchen zu erzählen und den großen Knall den man ja eigentlich verhindern will sofort auszulösen. Es gibt also verständliche Gründe aus denen Politiker manchmal lügen (manchmal lügen sie auch nur um sich selbst zu retten, das ist aber wieder was anderes, darum geht’s mir hier nicht), aber irgendwann muss man dann halt trotzdem liefern oder das Märchen sterben lassen. Ewig Märchen erzählen geht halt nicht.

Hier kommt dann das erste Problem, als das reflexartige Einnehmen der Gegenposition wieder voll zum Tragen. Man muss jetzt die alten Märchen bezüglich zB. des Euro aufrecht erhalten, nur weil die AfD sagt es seien Märchen muss man selbst stur behaupten es seien keine. Man kann also keinen reinen Tisch machen, was aber dringend nötig wäre. Hier muss man übrigens die AfD europäisch denken, auch andere Länder haben ihre „Populisten“ und auch dort sind ähnliche Mechanismen am Wirken. Noch etwas, die AfD weiß ja, dass sie da selbst ein Teil des Problems ist, aber die beruft sich darauf nur zu verhindern, dass das eine Märchen durch ein noch schädlicheres Märchen ersetzt wird und an dieser Argumentation ist auch was dran…

Diese beiden großen Probleme die die Altparteien haben gedenkt man jetzt zu lösen indem man die AfD irgendwie klein bekommt. Hier gilt die Denke: „Keine AfD, keine Probleme“. Hierbei stolpert man aber grandios über die alte Taktik der nach man Rechte „isoliert“. Wenn man die Rechten in der rechten Ecke isoliert, dann hat man Rechte in der rechten Ecke. Da es sich hier um Millionen handelt ist das halt nur lächerlich, Millionen Rechte in der rechten Ecke zu halten bedeutet, man hat auf Dauer die AfD. Es ist einfach nur maximaldumm was da getan wird.

Man hat hier eine Einbahnstraße installiert. Wer erst als „rechts“ identifiziert wurde, der muss in die rechte Ecke und dort muss er dann bleiben. Dort muss er sich dann auch 24/7 beschimpfen, auslachen, denunzieren und verunglimpfen lassen. Und dann wundert man sich wenn man die AfD nicht klein bekommt…

Jetzt sind die Parteispitzen natürlich auch nicht ganz so doof, die tun nur so (ist wirklich so). Denen geht es ja um die Machtperspektive, allen Sonntagsreden zum Trotz ist Opposition Mist und man will regieren. Die neue Parteienlandschaft mit AfD macht den Strategen aber einen Strich durch die Rechnung, die AfD hat Wähler von links und rechts abgesaugt und jetzt reicht es perspektivisch wohl weder für eine linke noch für eine konservativ-liberale Mehrheit. Das bedeutet, eine links-konservative Regierung wird zum Dauerzustand, egal ob Groko oder Jamaika, bisschen links und bisschen Union braucht es immer. Das ist aber Bullshit, eine derartige Kombination zerreibt die beteiligten Parteien zwangsläufig, man verbindet hier was nicht zusammengehört, das wird dann von den Wählern mit Stimmverweigerung quittiert, das ist mittelfristig einfach nur politischer Selbstmord.

Achtung, das passiert jetzt ja innerhalb des Lagers der „Demokraten“ (oder „Altparteien“, ist Geschmackssache), dort existiert ja der alte Wettbewerb der Lager „links“ und „liberal-konservativ“ weiterhin und Koalitionen über die Lagergrenzen hinweg sind halt am Ende nur Selbstzerstörung. Also schielen die Strategen beider Lager auf die AfD-Wähler. Das ist nur folgerichtig, man braucht bei der Union nicht auf die linken Wähler hoffen und man braucht bei den linken Parteien nicht auf die Wähler der CDU hoffen, der Aktivposten sind tatsächlich die Wähler bei der AfD.

Das klingt jetzt erst einmal seltsam, wieso sollten Linke auf die Wähler der „rechtsextremen“ AfD hoffen? Naja, ungefähr die Hälfte der AfD-Wähler kommt ja ursprünglich aus dem linken Lager…

So und nun überlegen wir mal. Wenn man dieser 13%-AfD ungefähr die Hälfte der Wähler abluchst, dann kommt die noch auf 6,5%. Das ist jetzt verdammt nah an der 5%-Marke. Wenn man es schafft selbst die Hälfte der Wähler auf sich zu ziehen und dann noch ein paar Wähler zum anderen Altlager gehen, dann fällt die AfD auf unter 5%, ist dann raus, die 5% fehlen dann aber beim anderen Altlager und man hat plötzlich eine Mehrheit fürs eigene Lager. Das funktioniert so übrigens für beide „Altlager“.

So, und jetzt zurück zu unseren Gegendemonstranten die heute in Berlin die AfD zahlenmäßig weit übertroffen haben. Wieso sollte die Politik tun was die wollen? Weil die mehr sind? Darum geht’s doch nicht, die die da heute demonstriert haben, die wählen sowieso das was sie schon immer gewählt haben, die sind von der Präferenz her soweit gefestigt, da brennt aus Sicht der Parteistrategen eh nichts an. Aber diese Minderheit an AfDlern, die ist interessant, die könnte man eventuell hinzugewinnen und dann eine Mehrheit fürs eigene Lager haben!

Und nun beginnt der Eiertanz. Man muss also tun was die Wähler der AfD wollen, gleichzeitig muss man sprachlich in der Opposition zu AfD-Themen sein und mit alten Märchen aufräumen ohne der AfD Recht zu geben.

Wer meint das sei weit hergeholt muss nur hinsehen, der Seehofer baut Konzentrationslager, wegen Jesus, die Nahles meint man könne nicht alle Migranten aufnehmen, für die Gerechtigkeit, das Duo Wagenknecht und Lafontaine frönen dem Nationalismus, für die Proletarier aller Länder, usw…

Oder auch anders gesagt, wer an die Macht will (oder dort bleiben will), der darf halt nicht kleinlich sein. So geht Machtpolitik, da könnt ihr in Berlin noch so lange versuchen die AfD „wegzubassen“!